Works
Music Theatre | 2010

Lezioni di tenebra

02-26-2011
Von den Verwirrungen der Liebe
Lucia Ronchettis "Lezioni di Tenebra" im Konzerthaus
Wie entsteht in einem Saal voller Menschen Stille? An diesem Abend im Konzerthaus wird gewartet, bis das Gemurmel im Publikum von selbst verstummt. Langsam geht das - dann ist plötzlich Stille. Von niemandem gefordert, nicht durch verlöschendes Saal-Licht erzwungen, aus einer natürlichen Entwicklung heraus entstanden. Das Publikum wird Teil des Stückes, das hier uraufgeführt wird.

Raum ist nun für Lucia Ronchettis Musik, die wie von Ferne herüberzuwehen beginnt. Ein Sopran, der in einer seltsam heiseren Klangfarbe Töne haucht, dem sich allmählich weitere Gesangsstimmen anschließen. Plötzlich sind tonale Klänge vernehmbar, Seufzerfiguren, verfremdete Barockmusik. Es wirkt wie ein barockes Bild, das auf dunkler Wasserfläche gespiegelt ist, verzerrt vom Wellengang, seltsam irrlichternd.

Ronchetti hat eine "Riduzione" geschrieben, eine Reduktion von Francesco Cavallis "Il Giasone", der wohl erfolgreichsten Oper des 17. Jahrhunderts. Eine unendlich verworrene Handlung spielt sich in dieser Opernfassung der Jason-Sage ab, ein Spiel zwischen zwei Frauen (Medea und Isifile) und zwei Männern (Giasone und Egeo), die sich kreuzweise lieben, verachten, mal vermeintlich tot sind, um danach plötzlich wieder in alter Frische aufzutauchen - und zu sehen, dass der eigene Platz in der Beziehung mittlerweile von der Nebenbuhlerin oder vom Rivalen besetzt ist.

Ronchetti sprengt diese Handlung auf, greift sich Mosaiksteine des Librettos heraus und gestaltet diese neu. Nur zwei Sänger übernehmen die verschiedenen Männer- und Frauenrollen. Der starke, bewundernswert wandlungsfähige Countertenor Daniel Gloger übernimmt dabei wechselweise Alt-Stimme und Baß. Hinzu kommt ein "Chor der Geister", gesungen von den vier Sängern des Vocalconsorts Berlin, außerdem Streich- und Schlaginstrumente. Cavallis "Giasone" wird hier gleichsam abstrahiert, die Handlung von den handelnden Personen abgekoppelt.

Wie im Puppentheater

Was übrig bleibt, sind Szenen der Liebe, der Eifersucht, des Schmerzes, der missglückten Kommunikation. Auf eine Bühne im eigentlichen Sinn hat Bühnenbildnerin Mirella Weingarten verzichtet, weshalb eine Interaktion zwischen den Personen nicht stattfindet. Stattdessen stehen die Sänger in den vier Ecken des Raumes, verbunden nur durch Seile, die quer durch den Saal gespannt sind und die über gewaltige Schwungräder in Bewegung gesetzt werden können. Über den Köpfen des Publikums spielt sich eine Art Puppentheater ab, denn an die Seile werden marionettenartige Geschöpfe gehängt. Aus Federn, Draht und Gaze gebastelt, mal traumfängerartig, mal mehr staubfängerartig baumeln sie im Raum, Handlung darstellend. Die Personen dieses Dramas - eigentlich sind sie nur lustig baumelnde Puppen. Die Gefühle, die sich die Solisten zuweilen aus dem Leib schreien, isoliert in der Ecke stehend, bleiben ohne eine direkte Antwort.

Lucia Ronchetti hat für ihre Giasone-Reduktion eine wunderbar sparsame und dadurch umso kraftvollere Musik geschrieben. Zur Singstimme kommt oft nur ein wenig Streichergeflüster hinzu. Lieber reizt sie ungewöhnliche Klangmöglichkeiten aus, die ihr die vorhandenen Instrumente bieten. Ein seltsam gespenstischer Nachhall entsteht, wenn die zwei Schlagzeuger sanft auf den Flügeldeckel trommeln. Ähnlich unheimlich klingt es, wenn die Sänger während des Singens auf ihren Brustkorb klopfen und dabei einen archaisch klingenden Rhythmus erzeugen. Es sind Effekte, die sparsam eingesetzt werden - und deshalb der Gefahr entgehen, effektheischend zu wirken. Viel Dunkelheit ist in dieser Musik und viel Stille.

Weitere Aufführungen: heute, am 26.2., und am 27.2. im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses, 20 Uhr.
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