Works
Music Theatre | 2010

Lezioni di tenebra

05-29-2012
Spiel mit der Finsternis
Nach dem Start mit Semele Walk stehen im Verlauf der KunstFestSpiele Herrenhausen einige weitere Musiktheaterproduktionen auf dem Spielplan, die alle Koproduktionen mit namhaften Kooperationspartnern sind. Den Auftakt dazu machte Lezioni di Tenebra (Lektionen der Finsternis), ein Auftragswerk des Konzerthauses Berlin in Koproduktion mit der Fondazione Musica Per Roma, der Salzburg Biennale und eben den KunstFestSpielen. Die italienische Komponistin Lucia Ronchetti hat sich Francesco Cavallis Oper Il Giasone angenommen, das Werk auf gut 70 Minuten reduziert, die Personen auf zwei Gesangssolisten und ein vierköpfiges Ensemble aufgeteilt und das Instrumentarium ihrer Art, Cavalli heute zu hören, angepasst. Die klassischen Streichinstrumente, jeweils einfach besetzt, Klavier und umfangreiches Schlagwerk, von zwei Musikern bedient, ermöglichen sowohl noch beinahe originale Cavalli-Klänge als auch Ronchettis Lesart dieser Musik. Freier Umgang mit den Spielweisen der Instrumente erzeugt mal unheimliche, atmosphärische Klänge, mal Geräuschteppiche, mal ganz zarte, intime Momente. Darin bricht sich die Musik Cavallis und Ronchetti liefert den Beweis dafür, dass Musik des 17. Jahrhunderts durchaus moderne Züge trägt.

Il Giasone wurde 1649 in Venedig uraufgeführt, war unter den rund 40 Opern Cavallis eine der erfolgreichsten. Thema ist die aus der griechischen Mythologie stammende Geschichte zwischen Jason und Medea. Zwei Protagonisten stehen für diese zentralen Figuren, übernehmen aber auch Teile der anderen Rollen. Vielfalt der vokalen Charakterisierung ist Ronchettis Mittel, die einzelnen Personen voneinander abzugrenzen, gerade weil sie eben nur zwei Solisten und vier weitere Sänger als Kollektiv zur Verfügung hat. Denen wie auch den Instrumentalisten fordert sie ein Höchstmaß an Versiertheit ab, weil alle ständig zwischen den unterschiedlichsten musikalischen Stilen pendeln müssen.

Die Nüchternheit der kahlen, weißen Wände der Orangerie in den Herrenhäuser Gärten bietet einen guten Rahmen für dieses filigrane Musiktheater. Ein nur kleiner Teil des Gebäudes ist mit einem schwarzen Vorhang abgetrennt, so dass sich ein relativ enger, rechteckiger, fast quadratischer Raum bildet. Sänger und Musiker sind ringsum an den Seiten aufgebaut, das Publikum sitzt in der Mitte. Entlang den Seiten und quer über das Publikum sind drei Ebenen von Seilen gespannt, Seilwinden machen es möglich, diese in Bewegung zu bringen. Kleine Figuren, Gegenstände, auch mal ein Totenkopf, viele assoziative Püppchen nehmen daran aufgehängt ihren Weg durch den Raum und über die Köpfe des Publikums hinweg. Inwieweit das immer genau auf den Text passt oder jedem Einzelnen auch Raum für eigene Assoziationen lässt, ist weniger wichtig als dadurch der Fantasie freien Lauf zu lassen. Die Sänger selbst agieren also kaum, sie bringen das, was an den Seilen durch den Raum gleitet, in Bewegung. Lichteinstellungen hüllen den Raum überwiegend ins Dunkel, bringen immer wieder Schatten zum Einsatz und thematisieren so die im Titel des Abends angekündigte Finsternis stimmungsstark. Mit diesen Mitteln inszeniert Regisseur Matthias Rebstock also mehr den Raum, die Verbindung zwischen Raum, Sängern und Musikern. Gerade das aber macht diese Cavalli-Adaption zu einem Musiktheater-Abend, der die Gedanken anregt.

Die Sopranistin Katia Guedes und der Countertenor Daniel Gloger bewältigen die Spannweite der vokalen Anforderungen, die Ronchetti an sie stellt, mit beeindruckender Virtuosität – wispern, schreien, stöhnen, winseln, dann wieder ganz klassisch auf Linie singen, Gloger muss zudem mehrfach zwischen Kopf- und Bruststimme, gleichsam zwischen Countertenor und Bariton, wechseln. Das erfordert große vokale Kunst. Ebenfalls mit schierer Selbstverständlichkeit steuert Dirigent Tonio Battista die Musiker des Parco della Musica Contemporanea Ensembles und die vier Sänger des Vocalconsorts Berlin durch die Partitur.

Ausverkauft war dieser Abend zwar nicht, dafür hinterließ er bei denen, die da waren, umso tiefere Spuren – begeisterter Beifall zeugte davon.
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