Mutti weiss was gut ist
In RNZ
2012
By Rainer Köhl
on Neumond
Die Suche nach dem eigenen Ich ist eine elementare Sache für junge Menschen, und sie bestimmt auch die Kammeroper "Neumond", die nun im Studio Werkhaus des Mannheimer Nationaltheaters ihre begeistert gefeierte Uraufführung fand. Der Text stammt von Kristo Sagor, die Musik schrieb Lucia Ronchetti: ein Auftragswerk für den "Mannheimer Mozartsommer".
Den Zwiespalt zwischen eigenem Willen und Gängelung gibt es so ähnlich auch in Mozarts "Zauberflöte": dort in der Figur der Pamina. Und so hat das Autorenduo den dortigen Mutter-Tochter-Konflikt auf eine Geschichte von heute übertragen. Ist es dort die Königin der Nacht, die argwöhnisch ihre Tochter bevormundet, ist es hier die Mutter Magdalind, die der Tochter Muriel barsch sagt: "Ich will, dass du ihn vergisst" oder "Ich weiß, was für dich gut ist".
Muriel aber hat es ohnehin schwer, denn zwei Seelen wohnen in ihrer Brust, zwei Parteien, die gegeneinander streiten. "Ich bin Kläger und Ankläger", sagt sie. In ihr wüten die Gefühle einer rebellischen Jugend. Die junge Sopranistin Sophie Sauter gibt diese Muriel nicht nur mit großer Präsenz als aufgewecktes Gör, sie singt auch ihren hochanspruchsvollen Part mit traumhafter Leichtigkeit, Virtuosität und Tonreinheit.
Die italienische Komponistin Lucia Ronchetti, die übrigens einen Auftrag zu einem neuen Musiktheater für das Große Haus im Nationaltheater erhielt, schrieb eine feine Musik, die neben ihrem eigenen Ton auch ein raffiniertes Spiel mit Mozart-Motiven aus der "Zauberflöte" treibt. Themen daraus verfremdet und abstrahiert sie in einem klugen Vexierspiel. Ihren eigenen Stil exponiert die Komponistin in einem sparsamen, lichten Stil, der sehr an Salvatore Sciarrino erinnert. Wie jener pflegt sie einen madrigalesken Gesangsstil mit Flüstergesängen in eng kreisenden Intervallen, geheimnisvolle Seufzertöne und glissandierendes Parlando. Unter Leitung von Kapellmeister Joseph Trafton musizierte das kleine Ensemble aus Mitgliedern des Nationaltheater-Orchesters überaus klangsinnlich, und auch die Darsteller sorgten zwischen Sprechen und Singen für einen spannenden Theaterabend.
Antje Bitterlich fistelt als Mutter schon mal in den höchsten Tönen in Analogie zur Königin der Nacht. Seinen lyrischen Tenor ließ Benedict Nawrath als Jasper fein fließen, Benedikt Kauf war als Frederik ein hemdsärmeliger Bursche, der sich durch Muriels Provokationen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Ein Stimmen-Trio mit Georg Gädker, Magnus Piontek und Timo Schabel gab der Klangkunst Ronchettis noch weiteres Profil. Regisseur Christian Bade gab dem Stück und seiner schnoddrigen Jugendsprache eine unausgesetzte Leichtigkeit und Direktheit, welche die Psychologie des Stücks nicht noch weiter verkomplizierte. Das Stück ist schwierig genug in seiner Sprache, und da tat auch Bühnenbildner Alexander Lintl gut daran, Klarheit zu schaffen dadurch, dass er es auf einem Spielplatz spielen lässt. Dort, wo die Jugendlichen von heute gerne abhängen und ihre Probleme austragen.