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07-03-2012
Mit dem Pubertätsstück „Neumond“ gelingt der Jungen Oper ein spannender und ergreifender Abend für Jugendliche
Am Ende lässt das Ich die Zweifel abwandern

Klar: Es geht um das Ich. Aber wer ist das, das Ich? Muriel - 16, blond, attraktiv und sportlich-dynamisch, aber wie fast alle Mädchen ihres Alters voller Selbstzweifel und Sehnsucht nach Sinn, Sex und einem aufregenden Lebensentwurf - kommt am Ende ihrer einstündigen Suche nach diesem Ich zu dem Schluss: "Ich bin Facebook, ich bin Twitter, ich bin U-Bahn, ich bin Deutschland, ich bin Muschi, ich bin Hunger. Ich bin Durst. Und Zweifel. Ich bin Prüfung, ich bin Abi, ich bin Shoppen, ich bin Dickmanns, ich bin Kleidung, ich bin Warten. Ich bin hier. Ich bin ich. Und der ganze Zweifel, der geht jetzt einmal um den Block."

Sie geht also gut aus, die Junge Oper "Neumond" der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti und des Dramatikers Kristo Sagor, deren Uraufführung jetzt beim Mannheimer Mozartsommer im Studio Werkhaus über die Bühne ging. Muriel schickt ihre Zweifel an sich und dem Leben einfach weg. Das Licht geht aus. Die Oper bricht ab. Der Optimist denkt: Sie wird ihren Weg schon finden, diese Muriel.

Banal? Auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen; und tatsächlich blitzt der Widerspruch hier immer wieder auf, dass eine hochartifizielle Misch-Musik auf schnöde Umgangssprache und unpoetische Inhalte trifft, was mitunter befremdlich wirken kann - aber nicht muss.

Variation der "Zauberflöte"

Aber: Ronchetti geht musikalisch sehr klug vor. Wie sie ihre zeitgenössischen Klänge eines meist freien atonalen Satzes postmodern mit Zitaten aus Mozarts "Zauberflöte" spickt, ist genau so gekonnt und überzeugend wie der Spagat zwischen alltäglicher Sprech- und operabler Singstimme, die sie fordert und die besonders an den Übergängen vom einen zum anderen fasziniert.

Es ist ein Parallelogramm, das Sagor und Ronchetti auf die Bühne bringen. Der Konflikt von Muriel zu ihrer Mutter ist - nach dem Vorbild der Königin der Nacht und Pamina - der eine Strang, der andere Muriels körperliche Begierde, die mal zum Streber Jasper hinüberschwappt, der Wissenschaftsjournalist werden will, dann aber wieder zu dessen Gegenpol Frederik, der eher der sportlich-legere Typ ist, die Schule abbrechen und Schwimmer werden will. Regisseur Christian Bade tut gut daran, sich vollkommen auf den Kern des Werks zu konzentrieren. Die psychologische Struktur ist für ihn Ausdruck genug, auch die Bühne von Alexander Lintl ist, bis auf ein Rund mit Mondkrater-Bildern, kahl und kalt wie die Nacht bei "Neumond" - eine rundum gelungene Inszenierung.

Gesungen, gespielt und musiziert wird unter Leitung von Kapellmeister Joseph Trafton ziemlich fabelhaft. Sophie Sauter trifft als Muriel den richtigen Ton. Mit kräftigem und warm timbriertem Sopran überzeugt sie sängerisch wie auch mit natürlicher Sprechstimme. Antje Bitterlich ist als Mutter Magdalind so etwas wie die Königin der "Neumond"-Nacht - es kommt vor, dass sie ihren Koloratursopran blitzartig mächtig und imponierend ausfährt - großartig. Tenor Benedict Nawrath als Jasper (sehr lyrisch und schöngeistig angelegt) sowie Schauspieler Benedikt Kauf als Frederik (schöner, etwas rüpelhafter Gegenpol dazu) überzeugen genauso wie das Stimmen-Trio von Georg Gädker, Magnus Piontek und Timo Schabel - und die Mitglieder des Nationaltheater-Orchesters unter Trafton spielen energisch und akkurat auf. Eine rundum glückliche und sehr aufwendige Produktion über eine schwere Lebensphase. Schade, dass Muriel vor dem Sommer ihr Ich nur noch dreimal suchen (und finden) wird.
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