Texts
05-31-2011
Medeas folgenreiches Blind Date
Nichts als Ärger mit den Frauen hat Jason. Und es wird noch schlimmer kommen, wenn die eifersüchtige Medea nicht nur die Rivalin, sondern auch noch ihre eigenen Söhne ermordet, nur um den ungetreuen Kindsvater zu bestrafen. Aber davon erzählen später andere Opern. In Francesco Cavallis einst sehr erfolgreicher „Giasone“ plant Medea zwar auch einen Mord, fällt aber selbst herein und ins Meer und muss am Ende einiges ausbaden. Und alles nur, weil sie sich mit dem Helden Jason (alias Giasone) auf ein folgenreiches Blind Date eingelassen hatte. Das aber dem zuständigen Gott Amor böse ins Auge stach. Wie es weitergeht, erzählte Cavalli vor mehr als 350 Jahren in drei Akten und mindestens so vielen Stunden Spielzeit. Wer auch den Prolog unter streitbaren Göttern miterleben wollte, musste zwei weitere Stunden einrechnen – in Hannover gab es das vor neun Jahren in vergleichsweise gnädigen dreieinhalb Stunden. Noch viel kürzer fasst sich die Nacherzählung, die am Sonntagabend in derOrangerie die Kunstfestspiele Herrenhausen bereicherte. Dabei hat die italienische Komponistin Lucia Ronchetti CavallisMusik nicht nur radikal zusammengestrichen, sondern auch mit reichlich eigenen Tönen durchsetzt. Eine „Riduzione“ nennt Ronchetti ihre „Lezioni di Tenebra“, diese Lektionen der Finsternis. Man werde bei dieser Reduktion nicht hören, wo Cavalli aufhört und Ronchetti anfängt, hatte sie versprochen. Tatsächlich ist hier ein ganz eigenes Kunstwerk entstanden. In der bildenden Kunst würde man das wohl eine Übermalung nennen. Hier scheint der barocke Klang immer wieder durch orchestrale Schleier. Aber selbst die Gesangslinien sind kunstvoll verfremdet, weil Ronchetti die sechs wichtigsten Rollen auf nur zwei Sänger verteilt. Die engagierte, durchsetzungsfähige Sopranistin Katia Guedes singt nicht nur die Medea, sondern auch die beiden Tenorpartien Egeo und Demo. Und der famose Altist Daniel Gloger übernimmt neben dem Giasone auch den Oreste (Bass!) und Giasones Nebengeliebte Isi!le (Sopran). Die beiden, die nie zueinanderkommen können, weil die Inszenierung von Matthias Rebstock sie in zwei Ecken stellt, jonglieren nicht nur mit den Stimmen, sie müssen auch noch Strippen ziehen. Die Bühnenbildnerin Mirella Weingarten hat zwischen den beiden Protagonisten und auch kreuz und quer durch den Raum Seile gespannt, an denen merkwürdige Geschöpfe hängen und bewegt werden. Man kann diese Traumgebilde aus Federn, Draht und Gaze Handlungselementen zuordnen oder sie einfach als Gleichnis dafür sehen, dass hier die Menschen von den Göttern wie Marionetten geführt werden. Spannender ist dennoch die Musik, die mal !ligran, mal aggressiv den Bogen vom Barock in die Gegenwart spannt. Die Musik ist auch dann sprechend, wenn sie fast schweigt. Ein Streichquartett, zwei Schlagzeuger, die auch mal das Klavier traktieren, und ein Gesangsquartett fürChorpassagen genügenRonchetti, um die Gefühle im Schwebezustand zu halten. Dirigent Tonino Battista koordiniert seine an den Wänden des Raums verteilten Musiker souverän. Nach einer guten Stunde zeigte der Beifall, dass die animierten Zuhörer ihre Lektion gelernt hatten.
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