Texts
02-2012
Fantasie, Schaffensdrang und Neugierde
»Kein Komponist ist allein oder beginnt aus dem Nichts«, sagte Lucia Ronchetti in einem Interview. Seit Jahrzehnten lässt sie sich in ihrer Arbeit von den großen Komponisten der Vergangenheit inspirieren: Debussy, Mozart, Strauss, Mahler und immer wieder die Vertreter der barocken Oper. In der Auseinandersetzung mit deren Musik findet die italienische Komponistin zu einem unverkennbaren eigenen Stil, der von tonalen Harmonien unversehens in schwindelerregende Vokalisen, ins Seufzen, Flüstern, chorische Sprechen oder Klatschen führt. Gleichzeitig hebt sie sich durch ihre weit gefächerten Interessen von Komponisten ab, sie sich allzu früh spezialisieren. Die Beschäftigung mit Werken der bildenden Kunst wie z.B. Paul Klee und Dichtern wie Gogol spiegelt sich ebenso in ihrer für Orchester- oder Kammermusik wider wie physikalische Aspekte ihr Werk durchsetzen. Gern lässt sich Lucia Ronchetti von besonderen Orten, an denen ihre Kompositionen aufgeführt werden, inspirieren, wie in ihrer Chor-Oper »3e32 Naufragio di terra« in L’Aquila, die ein verheerendes Erdbeben in jener Stadt thematisiert.
So vielfältig wie die Eindrücke, die Lucia Ronchetti in ihrer Musik verarbeitet, so vielfältig gestaltete sie ihre Ausbildung. An der Accademia di Santa Cecilia und der Universität in Rom studierte sie Komposition, Philosophie und Computermusik. An der Pariser Sorbonne erwarb sie ihren Diplomabschluss in Musikwissenschaft, besuchte Kompositionsseminare bei Gérard Grisey und arbeitete im elektronischen Ircam-Labor. 1999 promovierte sie über Ernest Chausson und den Einfluss Richard Wagners auf die spätromantische Musik Frankreichs. Neben zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien war sie Composer in residence der Fondation Nadia Boulanger in Paris sowie den Künstlerkolonien The MacDowell Colony in Peterborough und Yaddo in New York.
In den vergangenen Jahren wurde Lucia Ronchetti mit Kompositionsaufträgen geradezu überflutet. Unter anderem schrieb die Musiktheater-Stücke »Der Sonne entgegen« für die MaerzMusik in Berlin (2009), »Lezioni di tenebra« nach  Francesco Cavallis »Giasone« für das Konzerthaus Berlin (2010) und »Neumond« für die Oper Mannheim (2011), die Chor-Oper »Narrenschiffe« für die Bayerische Staatsoper (2010) sowie die Instrumentalstücke Helicopters and butterflies (2012) und »Le palais du silence«(2013) für das Festival d’Automne in Paris.
Für die Semperoper komponierte sie neben »Sub-Plot« bereits das Intermezzo »Contrascena« und arbeitet derzeit an der Kammeroper »Mise en abyme / Widerspiegelung«. Zeitgleich schreibt sie an einer Kammeroper für die Oper Mannheim. 2014 erhielt sie für ihr Werk den Heidelberger Künstlerinnenpreis – eine besondere Würdigung für die vor Fantasie, Schaffensdrang und Neugierde sprühende Komponistin.
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