Texts
02-2005
Bizarre Poetik (DE)
In den letzen Jahren hat Lucia Ronchetti dank ihres Talents und der gro&szling;artigen Entwicklungsmöglichkeiten, die ihr die Reisen, die Beziehungen und internationalen Anerkennungen gegeben haben, viele Anregungen aufgenommen und verarbeitet. Sie hat sich die technischen Fähigkeiten und Ausdruksmittel angeignet, die es ihr erlauben, die Kammermusik, das Musiktheater, die rein instrumentale Komposition sowie die Live-Elektronik und die multimedialen Hilfsmittel zu beherrschen.
Die Möglichkeit, dank der ihr vom DAAD verliehenen Preises für ein Jahr in Berlin zu leben, krönt diese Phase des Wachstums und schließt sie ab. Lucia Ronchetti ist nicht mehr nur die "junge Komponistin".
Das zeigte das vom DAAD organisierte Konzertportrait am 23. November 2005 in Berlin. Und auch das Münchner Publikum hat Gelengenheit, sich davon zu überzeugen, wenn im Rahmen des Festivals "Henze Plus", das die Bayerische Staatsoper Hans Werner Henze widmet, am17. Februar 2006 Ronchettis The Glazed Roofy aufgeführt wird.
Überhaupt hält man in Deutshlandviel von Lucia Ronchettis Musik: Im März 2005 hat das Forum Neues Musiktheater der Staatsoper Stuttgard die OperLast desire aufgefürt, die von Oscar Wildes Salome inspiriert ist. Endlich haben wir hier einen weiblichen Blick auf die berühmte Femme fatale.
Die Neuen Vocalsolisten Stuttgart haben Anatra al sal (Ente in Salz) eingespielt, ein sechsstimmiges Madrigal, das zu Versen Ermanno Cavazzonis über ein überaus kompliziertes Kochrezept komponiert wurde. Die Klangarchitektur eines Madrigals muss solide und leicht zugleich sein, da sie ja nur auf den Einzelstimmen basiert, an denen sie sich wie eine Kletterpflanze entlang rankt: Ronchetti hält sich strikt an den äu&szling;erst ernsthaften und wahnwitzigen Fluss der Worte, sie nimmt ihn ernst und amüsiert sich. Dieses Madrigal ist Theater, Stimmentheater in einem Spiel von Absichten und Anspielungen. Es scheint. als ob die Sänger wirklich Hunger hätten und als ob sie diese Ente in Salz auch wirklich kochen und essen wollten.
Das Stück wird im Rahmen des Festivals "Ultraschall" am 25. Januar 2006 in Berlin neben zwei weiteren Premieren vorgestellt: Pinocchio, una storia parallela, das von den Neuen Vocalsolisten und In the Shape of Anxieties, das vom Ensemble Recherche aufgeführt wird.
Lucia Ronchettis Musik hat einen eigenwilligen, mitteilsamen und gleichzeitig entschwindenden, ungreifbaren Charakter und besitzt eine ebenso volkstümliche wie gabildete, ebenso unmittelbare wie ausgefeilte Ironie; in dieser Hinsicht kann sie gar nichts anderes als Römerin sein. Sie liebt die unvorhersehbaren Verbindungen und Assoziationen der gesprochenen Sprache, ihr hört sie Klang und Sinn ab. L'ape apatica (Die apathische Biene), eine 2002 am Teatro La Fenice in Veneding aufgeführt musikalische Szene, ein "konzertantes Spiel", das auch die Mitwirkung einer Tänzerin und Lebende Bilder vorsieht, ist auf Versen Toti Scialojas aufgebaut, einer Reihe kurzer Zungenbrecher und Liedchen ohne einen anderen Sinn als die Faszination der Freiheit des Wortes: "Con il verme di Viterbo / Venerdì venni a diverbio / lui si fece tetro tetro / poi, scolato il mezzo litro, / mi fissò con occhio vitreo". Diese unterirdische, doch durchgängige Spur in der italienuschen Literatur hat sie angesteckt und eine sanft surreale Energie in ihr wach gerufen, welche die Jury des CEMAT dazu gebracht hat, ihr den Preis "Quarant'anni nel 2000"(Vierzig Jahre im Jahr 2000) zu verleihen
Carl Gustav Jung spricht vom "puer aeternus", der in uns wohnt, und er lädt uns dazu ein, keine Angst vor ihm zu haben. Nun, da sie ihren eigenen Ödipus-Komplex gegenüber den Vätern überwunden hat - den antiken wie den modernen, und welch ein Schmerz, wenn man keine Väter hat! -, nun kann Lucia Ronchetti das Eigenwillige iher Poetik, ihre tief bizarre Haltung, die nie langweilig wird, mit erreichter Sicherheit ausleben.

(Übersetzung: Markus Ophälders)
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