Texts on Lucia Ronchetti
02-06-2014
Heidelberger Künstlerinnenpreis für Lucia Ronchetti
Der diesjährige Heidelberger Künstlerinnenpreis ging an eine Komponistin, die nicht nur in der Region bereits Spuren hinterlassen hat (sie komponierte "Neumond" für die Junge Oper im Schnawwl), sondern deren Karrierebahn inzwischen weite Kreise zieht. Auftragswerke für Paris, Dresden oder Berlin machten sie bekannt, und ihre weit gefächerten Interessen heben sie ab von Komponisten, die sich früh spezialisieren und auf eine Richtung festlegen.
Lucia Ronchetti, 1963 geboren und aufgewachsen in den sozial angespannten Verhältnissen der Randbezirke Roms, kam über eine musikalisch gebildete Nachbarsfamilie von Uhrmachern zur Musik, wie sie im "1. Heidelberger Werkstattgespräch" offen bekannte, das Egbert Hiller vom Deutschlandfunk vor dem Konzert in der Stadthalle mit ihr führte. Mit 16 habe sie sich entschlossen, Komponistin zu werden, nachdem sie eine Aufführung von Bruno Maderna im Radio verfolgt hatte.
Ihr "sehr langes" Studium führte sie an die Academia Santa Cecilia ihrer Heimatstadt, dann nach Venedig - wo sie sich mit Alter Musik befasste -, nach Florenz (Bussotti) und Perugia (Sciarrino) und schließlich nach Paris, wo sie Stunden bei Gérard Grisey nahm und an der Sorbonne über Wagners Einfluss auf die französische Musik des Fin de Siècle promovierte. 2005 ging sie mit Stipendien an die Columbia University nach New York und andere Orte der USA, sodann nach Berlin und Stuttgart. Für die Staatsoper in Dresden komponierte sie ein A-Cappella-Intermezzo für eine Barockoper, für die Münchner Staatsoper ein Werk nach Sebastian Brants "Narrenschiff", und in Berlin wurde gerade ihre komprimierte Neuversion des Librettos einer Cavalli-Oper uraufgeführt. Lucia Ronchetti ist tatsächlich eine der interessantesten Komponistinnen ihrer Generation.
Man hatte nun also eine Künstlerin vor sich, die durch Intelligenz und Fantasiereichtum besticht, die mit der Musikgeschichte vertraut ist und sich darüber hinaus gerne von außermusikalischen Dingen anregen lässt: von Malerei oder Physik ebenso wie von antiken oder mittelalterlichen Texten. Als Beispiel wurde allerdings - in deutscher Erstaufführung - ein Werk präsentiert, das die ganze Breite von Ronchettis Schaffen kaum repräsentierte. Die "Déclive-Étude" wurde 1999 komponiert und 2001 in Gennevilliers nahe Paris uraufgeführt. "Ich war schwanger und studierte noch bei Grisey", erzählte die Komponistin im Gespräch. Die "Étude" sei quasi der Abschluss ihrer Studienzeit und eines ganzen Lebensabschnitts gewesen. Allerdings wurde das Werk danach mehrfach umgearbeitet, so dass als Entstehungszeitraum auch die Jahre 2001/02 angegeben werden. Selbst für die jetzige Heidelberger Aufführung erfuhr das etwa 15-minütige Stück leichte Nachbesserungen, wie Dirigent Yordan Kamdzhalov vorweg bekannte.
Stilistisch eng an die prismatischen Klänge ihres damaligen Lehrers angelehnt, bilden sich unterschiedliche Soundflächen, die den Eindruck einer schiefen Ebene ("Déclive" = Neigung, Schräge) erwecken können - aber nicht müssen. Dabei sind die Harmonien mikrotonal bis in weit ausgreifende Obertöne aufgespalten, und Klarinetten, Flöten sowie die Trompeten tanzen im zweiten Teil der Komposition über einem Bett aus Streicherclustern. Sie erinnern in ihrer rudimentären Koloratur an Sciarrinos Kompositionsstil.
Der 23. Künstlerinnenpreis seit 1987 wurde nach der Aufführung von Oberbürgermeister Eckart Würzner und Jury-Präsident Holger Schultze übergeben. Der Dank ging dabei an die Komponistin sowie die Manfred-Lautenschläger-Stiftung, die es ermöglichte, das Preisgeld auf 10.000 Euro zu verdoppeln. Man wird noch mehr Gelegenheiten haben, die Komponistin kennen zu lernen: Das KlangForum Heidelberg widmet der Komponistin am 12. März einen Abend, und ein Auftragswerk für das Nationaltheater Mannheim soll im nächsten Jahr aufgeführt werden.
Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von GMD Yordan Kamdzhalov setzte das Sinfoniekonzert in der Stadthalle fort mit Béla Bartóks drittem Klavierkonzert, das die bulgarische Pianistin Plamena Mangova mit ausnehmender Delikatesse spielte. Vor allem im langsamen Mittelsatz konnte sie mit farbenreicher Tonpalette überzeugen. In den Rahmensätzen hätte man sich allerdings einen dynamisch ausgreifenderen Anschlag denken können. Vollkommen überzeugte die Pianistin mit Chopins Nocturne cis-moll aus dem Jahre 1830, das sie mit anrührender Zartheit spielte und sphärisch ausklingen ließ. Die Bearbeitung von Schuberts "Atlas"-Lied hätte es da als zweite Zugabe gar nicht gebraucht, um Plamena Mangova als fulminant sensible, zugleich aber bodenständig-kraftvolle Pianistin auszuweisen.
Der Heidelberger GMD Kamdzhalov sprach zu Beginn seiner hiesigen Amtszeit davon, dass er "magische Momente" in seinen Konzerten bieten wolle. Ohne Frage ist ihm nun ein solcher Moment mit der Aufführung von Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 ("Pathétique") gelungen. Sekundenlang verharrte das Publikum nach dem Ende in Stille, bevor der Beifall losbrach und lange anhielt.
Das Philharmonische Orchester zeigte sich hier auch von einer ungemein klangvollen Seite: Die Streicher waren warm und dunkel gefärbt. Bassbetont im Ganzen wurden sie mit grandios gespielten Soloinstrumenten (Fagott und Klarinette vor allem) bekrönt. Etwas brachial gerieten die Blechbläser im ersten Satz, und der dritte schien unter leichten rhythmischen Unkonzentriertheiten zu leiden. Insgesamt aber gelang eine bewegende Aufführung dieser viel gespielten Sinfonie, die zu Recht als Requiem verstanden wird.